Ein Stachel sein, damit das Schöne auch noch für die nächsten Generationen blüht
„Unser Ziel ist es, von der schönen Landschaft um den Tegernsee zu retten, was noch zu retten ist.“
So stand es 1972 auf der Einladung zur ersten öffentlichen Veranstaltung eines Vereins, der sich kurz zuvor gegründet hatte: die Schutzgemeinschaft Tegernseer Tal (SGT).
Zum 50-sten Geburtstag lässt sich notieren: Man hat Profil gewonnen, Erfolge verbucht, sich Freunde und Feinde gemacht.
Gebraucht wird die SGT heute mehr als je zuvor.
SGT als APO des Tals
Wer die Schutzgemeinschaft gut findet, nennt sie gern „Die einzige APO im Tal“. APO wie außerparlamentarische Opposition, obwohl durchaus auch Gemeinderäte auf der Mitgliederliste standen und stehen.
Die SGT hakt nach, wo die Politik wegschaut, andere Prioritäten setzt oder – auch das kommt vor – einen Beschluss unter Bauchschmerzen trifft, weil man weiß, dass man von der nächsthöheren Instanz ohnehin überstimmt wird.
In solchen Fällen kommt sogar gestandenen Bürgermeistern eine streitbare APO ganz recht.
Es ist noch nicht lange her, da hat die Vorsitzende, Angela Brogsitter-Finck, an den bayerischen Ministerpräsidenten geschrieben. Die 78-Jährige gehört der SGT seit 2001 an, seit 2006 ist sie deren kämpferische Vorsitzende.
Im Brief an Markus Söder spricht sie davon, dass es immer schwerer werde, die Schönheit des „einzigartigen Lebensraums“ Tegernseer Tal, seine Traditionen, Besonderheit und Echtheit zu bewahren:
„Das Tegernseer Tal ist zur Beute und zum Spielball gieriger Investoren geworden, die nur an maximalem Gewinn interessiert sind. (...) Der Flächenverbrauch wird immer unverantwortlicher. Und selbst wenn Gemeinden eine zu massive Bebauung verweigern, wird das Landratsamt sie gewähren."
Man verstecke sich hinter der geltenden Baugesetzgebung und dem geschaffenen Paragraphen 34: Verdichtung nach innen. Dies bedeute in der Konsequenz: „Die Investoren können jeden Zentimeter eines Grundstücks versilbern."
Geographische Besonderheiten seien nur noch Hindernisse, die abgeräumt werden: Mithilfe von Unmengen an Beton glaube man, auch die steilsten Hänge stabilisieren zu können. Und durch die explodierende Zahl von Tiefgaragen sei das Tal längst auch unterirdisch versiegelt. „Nicht nur Naturschützer", so Brogsitter, „fragen sich, wohin mit den Grundwasserströmen.“ Es sei „dringend erforderlich“, das Bayerische Baugesetz endlich den Herausforderungen des Klimawandels anzupassen und dementsprechend zu ändern.
„Der Brief musste geschrieben werden", stellt Angela Brogsitter-Finck sachlich fest. Eine unverbindliche Antwort bekam sie erst Monate später. So allgemein gehalten, wie die meisten Antworten auf ihre Protestschreiben, ob an Gemeinden, Landratsamt und andere Behörden.
Die beliebteste Floskel: „Da können wir leider nichts machen, wendet Euch an die Staatsregierung."
Es sei höchste Zeit, dass Mandatsträger dazulernten, findet die SGT-Vorsitzende: Nicht mehr lang, dann „werden nur noch diejenigen Politiker die Menschen überzeugen, die den Klimawandel und seine Bedrohungen erkennen und danach handeln".
18.März 1972: Gründungsveranstaltung im Thoma-Saal
Zeichen der Zeit waren es auch, die bei der Gründung der Schutzgemeinschaft Pate standen.
Damals „schossen die Baukräne im Tegernseer Tal wie Schwammerl in die Höhe. Dies war ein beunruhigendes Signal, es scheuchte einige weitsichtige Heimatfreunde rund um den See auf", so formulierte es SGT-Gründungsmitglied, Heimatkundller und TEGERNSEER TAL-Autor Beni Eisenburg zum 30-jährigen Bestehen der Schutzgemeinschaft im Jahr 2002 in einem Rückblick.
Die erste öffentliche Vollversammlung der vom Bauboom „Aufgescheuchten" fand am 18. März 1972 im Thoma-Saal in Tegernsee statt, er war vollbesetzt.
Bereits einen Monat später folgte das Gespräch mit allen Talbürgermeistern und dem Kreisbaumeister.
Die SGT vom Tegernsee ist damit weit älter als „Die Grünen“ und nur wenig jünger als Greenpeace.
Die ersten Aktionen
Mit Plakataktionen gelangte die SGT auch in die Medien, Hörfunk- und TV-Auftritte folgten. Erfolgreich stemmte man sich gegen den Neubau des Gymnasiums als Beton- und Glasklotz auf den Höhen von St. Quirin („großstädtischer Würfelstil“) und das „Kuckucksei“ Umgehungsstraße für Bad Wiessee. Die Verkehrstransversale nach Italien sollte von der Kapler Alm über Holz, den Golfplatz und oberhalb von Ringsee und Weißach führen und schließlich beim Reißenbichl (heute Naturkäserei) wieder in die Bundesstraße einmünden.
Weiter schreibt sich die SGT auf die Fahne, auch die neben der Umgehungsstraße geplante Hochspannungsleitung mit einer Schneisevon 50 Metern Breite durch Bad Wiessee verhindert zu haben.
Erfolgreich endete Jahre später auch der hart geführte Kampf gegen die Pläne zum Bau eines Luxushotels in Gut Kaltenbrunn. Die SGT klagte mit Erfolg, auch für den Denkmalschutz, wie man heute weiß.
Anerkennung dafür zollt auch Tegernsees Bürgermeister Johannes Hagn, als er um eine Stellungnahme zum Jubiläum gebeten wurde: „Die Schutzgemeinschaft hat ihre großen Verdienste durch die maßgebliche Beteiligung an der Verhinderung des Hotelbaus in Kaltenbrunn und den Neubau des Gymnasiums in St. Quirin erworben. Dies zeigt, dass bürgerliches Engagement etwas bewirkt.“
Bürgerliches Engagement zeigten 350 Teilnehmer aus allen Bevölkerungsschichten im Dezember 2013. Die SGT hatte in Tegernsee zu einem Marsch vom Gymnasium zur Point gegen massive Bauprojekte aufgerufen. „Letzter Gruß an die Schönheit des Tals“, so die Parole auf dem Trauerkranz. „Damit haben wir heute ein Zeichen gegen den Ausverkauf der Landschaft gesetz", freute sich seinerzeit Brogsitter-Finck und forderte. „Wir müssen nicht alles hinnehmen.“
Johannes von Miller James Lürman (re)
Doch gelang es der Schutzgemeinschaft, bei „praktikablen Lösungen" der Kubatur, dem Volumen des Bauwerks, mitreden zu dürfen. Letztlich war Konsens: „Damit können wir leben“, befand Vorstandsmitglied Johannes von Miller.
Auf „Dialog und nicht Konfrontation", setzt auch Hagn: „Die SGT ist für mich ein Verein, der durch Argumente, weniger durch Aktionen, einen wichtigen Beitrag bei der Entscheidungsfindung leistet." - Überhaupt, betont auch Angela Brogsitter, sei der Auftrag der SGT, "Was viele nicht wissen (wollen!), nicht die Verhinderung von Bauvorhaben, sondern die Optimierung ihrer landschaftsschonenden Einbettung."
„Bayerns schönstes Feuerwehrhaus" in Tegernsee zu erhalten.
In Bad Wiessee protestierte man gemeinsam mit dem Verein zum Schutz der Bergwelt gegen Ausbau, Vergrößerung und großzügigen Erschließung der einstigen Söllbachaualm. Aus der Idylle im Landschaftsschutzgebiet wurde die „Saurüsselalm“, ein Ausflugslokal, betrieben von einem Luxus-Caterer. Die beiden Vereine wussten viele Talbürger hinter sich, als sie die Staatsregierung aufforderten, die Umwandlung der Alm in eine Wirtschaft zu untersagen.
Bislang ohne Erfolg. Gescheitert ist die SGT auch mit ihrer Petition gegen die geplante Splitthalle am Greawasserl am Ringsee.
Bei der jüngsten Hauptversammlung im Oktober 2021 wurde Angela Brogsitter-Finck für weitere drei Jahre als Vorsitzende und „Herz der SGT"
"wiedergewählt. „Zum letzten Mal", wie sie selbst sagt. Aufgaben und Energie dafür haben sie und ihr neues Vorstandskollegium genug. Da ist der geplante Neubau des Hotels Westerhof oberhalb von Tegernsee („Gigantismus")
und das nahe gelegene Almdorf („Heidi-Land").
Barbara Staudacher Petra Schmid Cornelia Hagn Angela Brogsitter Marcus Staudacher (von Links)
nicht im Bild: Gunther Mair
Stachel im Hintern der Bürgermeister
Ein „Stachel im Hintern mancher Bürgermeister", nannte der Rottacher Grünen-Gemeinderat Thomas Tomaschek seine SGT. „Nicht zutreffend“, erwidert Alfons Besel. Gmunds Rathauschef verweist darauf, dass die Bürgermeister lediglich „die Beschlüsse des Gemeinderats vollziehen“, wenn es um „Bauleitplanungen oder größere Bauvorhaben“ gehe. Wie jeder
andere Bürger oder Fachverband habe auch die SGT die Möglichkeit, „Anregungen und Bedenken vorzu- bringen". Der „Blickwinkel“ der SGT sei einer von vielen, der abzuwägen sei. „Sie bereichert mit ihrer Betrachtungsweise die Diskussionen zu Vorhaben und sensibilisiert hinsichtlich unserer wunderbaren Heimat. Dies ist einer professionellen Reflexion durchaus dienlich."
Schutzgemeinschaft und Kommunalpolitik
Aktuell sind es u.a. die Pläne für Wildbad Kreuth, die Brogsitter-Finck und mit ihr viele Menschen innerhalb und außerhalb der SGT sensibilisieren:
"Als Zwischennutzung" bis zum großen Umbau sollen Events für bis zu 2000 Gäste möglich von sein. "Remmidemmi und Halligalli bis tief in die Nacht am heiligsten Ort von Kreuth", befürchtet die SGT.
Auch Bürgermeister Josef Bierschneider war wenig angetan. Er wies den Pächter darauf hin, dass Partys oder andere Großveranstaltungen im Freien "in so einem sensiblen Gebiet" nicht in Frage kämen.
Obwohl Gemeinde und SGT hier an einem Strang zogen, sei es, so Bierschneider, "oft ein schwieriger Spagat", das Tal nicht nur in seiner Schönheit zu erhalten, sondern auch an dessen Entwicklung zu denken.
Schließlich müsse man "auch in Zukunft den hier lebenden Menschen Lohn und Brot sichern.", gab Bierschneider der SGT zum Jubiläum mit auf den Weg. Sie habe in so manchem Fall durch ihr Einwirken Dinge in eine durchaus andere Richtung gelenkt. Bei anderen Projekten jedoch seien die Meinungen aufeinandergeprallt, Fronten entstanden und Projekte dadurch gescheitert. Bierschneider: "Das muss man als Politiker aushalten, das ist auch ein Ausdruck von Demokratie und Meinungsfreiheit." Wichtig bleibe, dass Schutzgemeinschaft und Kommunalpolitik sich auf sachlicher Ebene träfen, Argumente austauschen und sich gegenseitig respektieren, um tragbare Lösungen zu finden.
Hans Reiser: "Feiern ohne Feuern"
Das Gewissen des Tegernseer Tals Was vor 50 Jahren mit 20 Mitgliedern anfing, ist heute für viele das Gewissen des Tegernseer Tals. Die Schutzgemeinschaft hat sich einen Ruf erarbeitet, der mit ihren inzwischen 450 Getreuen nicht mehr zu überhören ist, zumal sich auch namhafte Talbewohner einreihten. Ob dies in den Anfängen der Portraitmaler Paul Mathias Padua war oder der Tegernseer CSU-Bundestagsabgeordnete Sigfried Lengl, ob Gemeinderäte aus allen Gemeinden, Ex-Bürgermeister oder Wolfgang Rzehak, der der SGT auch als Miesbacher Landrat verbunden blieb. Großzügige Spenden kamen von Prominenten wieJochen Holy, Mitbegründer des Modelabels „Boss“, und dem Kunstsammler, Fotografen und Playboy Gunter Sachs. Verleihung des Lichtblicks Wer sich besonders für den Schutz der Heimat engagiert, wird von der SGT einmal jährlich als „Lichtblick“ geehrt. |
Dennoch hat sich die Schutzgemeinschaft eine Autorität verschafft, die auch außerhalb des Landkreises wahrgenommen wird.
SGT-Mitglieder sind persönliche Angriffe gewöhnt. Tief getroffen hat Angela Brogsitter-Finck jüngst der öffentliche Vorwurf eines Kreuther Gemeinderats anlässlich der Auseinandersetzung zur Erweiterung eines Supermarkts im Ortsteil Weißach. Die Vorsitzende sei selber "eine der ersten Zuagroasten, die im Tal auf grüner Wiese gebaut" habe.
Angela Brogsitter-Finck schüttelt den Kopf. Ihre Eltern seien 1959 aus Rüdesheim in ein erworbenes Haus in Festenbach gezogen, so kam sie selbst mit 16 Jahren an den Tegernsee und ins Gymnasium nach Miesbach. Später studierte sie in München Spanisch, Französisch und Englisch. Vom Auslandssekretariat des Vorstands der Bayerischen Vereinsbank wechselte sie als 24-jährige nach New York, um ihr Englisch zu vertiefen: "Ich war immer schon ziemlich impulsiv und beschloss zu bleiben." Daraus wurden 18 Jahre, in denen sie u.a. im berühmten Plaza Hotel für das Honeymoon-Package zuständig war.
Nach dem Tod ihres Vaters kehrte sie 1987 zurück ins Elternhaus und kümmerte sich um ihre Mutter bis zu deren Tod 2014.
"Als meine Geschwister das Erbe wollten, musste ich das Haus in Festenbach verkaufen. Heute lebt Brogsitter-Finck in Waakirchen. Dennoch bleibt sie im Tal verwurzelt: Ihre Mutter überschrieb ihr frühzeitig eine große Grünfläche in Festenbach. Gemeinsam mit dem Landesbank für Vogelschutz (LBV) habe sie dort 500 einheimische Sträucher gepflanzt: "Nach meinem Ableben wird diese Wiese den Vogelschützern vermacht."
Auch nach 50 Jahren habe sie noch ihre Berechtigung, sagt er heute, denn man müsse "denen da oben immer noch auf die Finger schauen".